Man gewöhnt sich an alles

Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig..
Wir wohnen ja jetzt schon 1.5 Jahre in China.
Und das Land ist sehr sehr unterschiedlich zu unserer westlichen Kultur.
Das fängt bei alltäglichen Dingen, wie Nahrungsaufnahme und Straßenverkehr an und hört bei sozialen Interaktionen und gesellschaftlichen Vorstellungen auf.
Mir fällt besonders auf, dass man sich an den Alltag (wenn man den so nennen kann), doch ziemlich gut gewöhnt. Wir essen selbstverständlich mit Stäbchen und kennen die lokalen Tischmanieren (immer Einzelnen zuprosten – nicht allen zusammen; der Rangniedrigere hält sein Glas tiefer; Schmatzen und Rülpsen ist ok; wenn man fragt, wie etwas schwierigere Teile in den Mund befördert werden sollten hat man nicht genug Hunger; da ein runder Tisch kein Kopfende hat, sitzt der Gastgeber oder der wichtigste Gast gegenüber der Eingangstür, etc…).
Im Straßenverkehr und in Warteschlangen drängelt man sich so gut es geht überall vor (weil man sonst nie zum Zuge käme) und mit Taxi, Bus, Bahn und Flugzeug bewegen wir uns auch sicher durchs Land. Das Bahnfahren gleicht hier eher einer Flugreise. Wenn man seine Fahrkarte hat geht es damit durch eine Gepäckdurchleuchtung am Eingang des Bahnhofs. Dahinter folgt eine sozialistisch-riesige Wartehalle für alle, in der man sich aufhält, bis ca. 15min vor Abfahrt des Zuges der jeweilige Bahnsteig geöffnet wird. In den Schnellzügen fährt man dafür aber auch recht komfortabel, pünktlich und mit 300km/h sehr zügig durchs Land. Von Suzhou nach Peking braucht man genau 5h 5min.
Auch an die sonstigen Lebensverhältnisse gewöhnt man sich so sehr, dass einem vieles schon gar nicht mehr auffällt, was man als Tourist höchst exotisch fände. Zum Beispiel Garküchen auf der Straße, kleine Restaurants, die Verlegung von Stromleitungen und die Schlachtung von Schweinen in zur Straße hin offenen Läden.
Ich habe ja häufig bei Ausflügen meine Kamera dabei und ertappe mich dabei, wie ich denke, dass ich eine bestimmte Szene normalerweise als höchst interessant fotografiert hätte – es aber jetzt nicht tue, weil es eben normal ist. Zum Beispiel so etwas:
Overload

Woran man sich etwas schwerer gewöhnt, ist das unterschiedliche Denken der meisten Einheimischen.
Vielem zu Grunde liegt ein kommunistischer Hintergrund im eigentlichen Sinne des Wortes: Die Gemeinschaft ist wichtiger als der Einzelne. Daher ist es natürlich ganz normal, dass z.B. der Bau von Infrastruktur für alle auf Kosten weniger, deren Haus der neuen Autobahn im Weg steht, völlig akzeptiert ist. China wächst immer noch so schnell, dass sich alles in kurzer Zeit ändert. Man kann daher nicht besonders langfristig planen, sondern geht davon aus, dass alles kurzfristig veränderten Voraussetzungen angepasst werden muss und auch kann. Das hat den Vorteil, dass man spontan überall alles machen und bekommen kann. Andererseits hat man wenig Planungssicherheit z.B. in der Arbeit, was Projekte, Reisen oder Termine angeht. Jeder muss immer und überall erreichbar sein. Bei meiner ersten Schulung, die ich gegeben habe, waren 5 Minuten nach Beginn die Hälfte der Teilnehmer am Telefon und aus dem Raum verschwunden.. (aktuell lasse ich höchst unchinesisch die Handys am Anfang ausschalten und mache jede Stunde eine Kommunikations-Pause 😉 )
Das berühmte „Gesicht-verlieren“ reicht auch durchaus weiter, als man oberflächlich meinen würde. Bekommt man als Chinese einen Auftrag, den man nicht erfüllen kann, sollte man das keinesfalls kommunizieren. Stattdessen lässt man alles so vor sich hin laufen – man rennt gewissermaßen sehenden Auges ins Verderben bis kurz vor knapp raus kommt, dass es nicht klappen wird. Dann lächelt man entschuldigend, hat ggf eine schwache Ausrede – und nächstes Mal passiert das gleiche…
Dazu kommen natürlich noch sprachliche Probleme, denn viele Chinesen sprechen gar kein oder nur sehr rudimentäres Englisch. Dazu existieren in Chinesisch praktisch keine Konjugationen oder Deklinationen. Alles ist Präsens – das Englisch, mit dem man hier kommuniziert ist auch sehr stark vereinfacht und passt sich der chinesischen art zu sprechen an – zum Beispiel kommt man auch sehr gut ohne Artikel aus 🙂 . Interessant ist dabei, dass in der chinesischen Sprache sehr viele Umschreibungen, Redewendungen und Metaphern genutzt werden. Ich hoffe, Jule hat dazu ein paar praktische Beispiele.
Trotz aller Gewöhnung an das Leben hier bleiben wir natürlich als Ausländer bei sehr vielem einfach außen vor – verstehen vieles auch einfach nicht. Und bei nur 600.000 Ausländern, die unter 1.4 Milliarden Chinesen leben, fällt man auch immer auf, und wird auf die eine oder andere Weise besonders behandelt.
Interessant ist und bleibt es allemal.

Heute keine Fotos…

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